Vorsätze 2018: Was ich aus der NoBillag-Diskussion lerne

Die direkte Demokratie ist eine grossartige Errungenschaft. Immer wieder bin ich stolz, dass ich über Abstimmungskämpfe berichten darf. Immer wieder bin ich stolz, dass ich als Bürger selber mitbestimmen darf.

Allerdings: Die aktuellen Debatten rund um die öffentliche Medienfinanzierung sind für mich persönlich etwas anderes. Denn der Abstimmungskampf wird besonders hitzig geführt. Und er betrifft mich ganz direkt.

Deshalb lerne ich viel in dieser Zeit.

Die Abstimmung zur NoBillag erinnert an frühere Abstimmungen zur Armee.
(c) Fotolia / Anton Sokolov

Nein, ich werde mich in diesem Artikel nicht politisch äussern, schon gar keine Abstimmungsempfehlung für den 4. März publizieren. Denn das ist mir als Mitarbeiter der SRG und als Journalist von SRF verboten. Mein Arbeitgeber und ich sind in diesem Abstimmungskampf nicht wie sonst Beobachter, sondern Betroffene. Das erfordert angepasstes Verhalten, professionelle Distanz.

 

Es erfordert aber auch starke Nerven. Denn natürlich herrscht Verunsicherung: In meiner Firma, in meinem Team, bei mir persönlich. Niemand weiss, wie es nach einem allfälligen Ja zur NoBillag-Initiative weiter gehen würde. Was macht die Politik mit dem Verfassungstext? Was macht meine Firma mit der neuen gesetzlichen und wirtschaftlichen Ausgangslage? Wie schnell wird die SRG liquidiert? Konkret: Wie lange hätte ich meinen Job noch?

 

Natürlich kommen da Existenzängste auf. Natürlich überschattet diese Debatte deshalb den redaktionellen Alltag, natürlich ist diese Initiative Thema Nummer 1 in allen Pausengesprächen. Und natürlich möchte man kämpfen für sein Unternehmen, seine journalistischen Ideale, seinen Job. Und ist frustriert, weil man es ja eben nicht so richtig darf.

Hass und Wut...

Aber ich will mich nicht beklagen. Ich soll mich ja auch nicht beklagen. Das kommt nämlich nicht gut an, wie ein Kollege erfahren musste, der sich kürzlich öffentlich unter anderem über seinen Lohn geäussert hatte (der ganze Rest des Facebook-Posts ging irgendwie unter im virtuellen Geschrei). Denn die Menschen bzw. Profile in sozialen Medien scheinen voll von Hass und Wut zu sein. Oft gegen uns (als SRG-Mitarbeitende), oft aber auch gegen NoBillag-Befürworter/innen.

 

Selten habe ich so viele Kommentare gelesen zu einer bevorstehenden Abstimmung. Und noch nie ist mir so deutlich klar geworden, wie wenig entwickelt die «Debattenkultur» in unserem Land teilweise ist. Tiefe ideologische Gräben gehören dazu. Dass man sich nicht immer einig wird in einer Diskussion, ist deshalb nachvollziehbar und mir aus parlamentarischen Debatten bestens bekannt.

 

Zutiefst primitive persönliche Angriffe und Drohungen aber sind in keiner Weise zu entschuldigen. Gerade heute habe ich wieder gelesen, man solle die zuständige Bundesrätin und den (ehemaligen, aber das wusste der Schreiberling wohl nicht) SRG-Direktor zusammen umbringen. Was soll das?

 

Mein Vorsatz: Noch mehr als früher ist es (auch) die Aufgabe der Medien, in einem demokratischen Land einen ernsthaften Diskurs zu ermöglichen. Dazu gehört, dass man gemässigte(re)n Stimmen mehr Gehör verschafft und wenigstens in den kontrollierbaren Kanälen eine konstruktive Diskussionskultur pflegt. Falls ich meinen Job behalten darf, werde ich künftig noch stärker darauf achten, nicht primär die extremen Positionen abzubilden, sondern vor allem die gemässigten, konstruktiven. Auch wenn die Debatte dadurch vielleicht weniger «lebhaft» wird und weniger «attraktiv» für das Publikum. Wir Journalisten haben in einer Demokratie eine besonders wichtige Aufgabe, oder nicht?

... und Unwissen

Dieser Hass im Netz kann einen zur Verzweiflung treiben. Zur Verzweiflung treiben mich persönlich in diesem Abstimmungskampf auch immer wieder offensichtlich falsche Aussagen. Krude Behauptungen von Menschen ohne jegliches Fachwissen. Wer sich durch Facebook-Kommentare und Twitter-Feeds kämpft und etwas von Medien und Journalismus versteht, der schüttelt unentwegt den Kopf.

 

Wenn jemand findet, das SRF-Fernsehprogramm sei doch primitiv. Und die Sendung «Bachelor» dafür als «Beweis» anfügt. Wenn jemand die sofortige Neudefinition des Begriffs «service public» von der SRG fordert, natürlich ohne zu wissen, dass die SRG selber keine Grundsatzentscheide zum Programm treffen kann, weil sie ja über einen politischen Leistungsauftrag verfügt, der einzuhalten ist. Oder wenn jemand behauptet, man könne ja Radio via Abo-Modelle finanzieren, wenn man nur wolle. Obwohl Markt und Technologie das nicht können, wie andere bereits ausführlich erklärt haben.

 

Jetzt verstehe ich die Experten aus dem Gesundheitswesen oder aus anderen Bereichen, die mir als Journalist vor einer Abstimmung jeweils ihr Leid darüber klagten, dass «es» einfach zu kompliziert sei. Dass man «es» nicht erklären könne. Dass die Leute deshalb wohl «aus dem Bauch heraus» entscheiden würden.

 

Mein Vorsatz: Ich werde künftig noch mehr lesen, mit noch mehr Menschen sprechen, noch mehr unterschiedliche Quellen suchen zu einem Thema, bevor ich als Bürger zur Abstimmung schreite. Und ja: Ich werde künftig in jedem Fall auch den Wortlaut einer Vorlage lesen, also die Verfassungsbestimmung oder den Gesetzestext. Damit ich alle dazu geäusserten Meinungen und Interpretationen selber mit dem «Original» vergleichen kann.

Als Journalist habe ich das selbstverständlich schon gemacht bei Abstimmungsvorlagen, über die ich berichten durfte. Aber als «normaler Bürger» ehrlich gesagt nicht so konsequent...

Keine Grundsatzdebatte

Ich bin nicht nur Journalist. Ich leiste auch freiwillig Militärdienst über mein eigentliches Dienstalter hinaus als Miliz-Fachoffizier. Es gibt da interessanterweise Parallelen zwischen den politischen Debatten rund um das Schweizer Mediensystem und rund um die Schweizer Armee.

 

Als Armee-Angehöriger habe ich mich immer darüber genervt, dass es bei politischen Diskussionen meist um die «Grösse» der Armee ging. Wie viel Soldaten brauchen wir? Das wurde heftig diskutiert. Und bei jedem Rüstungsprogramm diskutiert man über Milliarden. Also über den Umfang des Budgets.

 

Vermisst habe ich dabei immer die Diskussion über den Auftrag. Was soll die Armee denn überhaupt leisten für ihr Geld und mit ihrem Personal? Das ist eine etwas heikle Debatte, klar. Da geht es auch um grundsätzliche Fragen: Soll die Armee noch Krieg führen oder nur Katastrophenhilfe leisten? Soll sie auch bei Unruhen im Inland eingesetzt werden können? Oder rechnen wir immer noch mit dem Panzer-Angriff aus dem Osten?

 

Die Antworten auf solche Fragen haben einen grossen Einfluss auf die Ausrüstung zum Beispiel. Es könnte aber auch einen Einfluss haben auf die Frage, ob wir ausreichend Polizisten haben im Land. Eine solche Debatte ist komplex. Und Entscheidungen dieser grundsätzlichen Art brauchen wohl auch Mut. Vielleicht kommt die Politik da manchmal an ihre Grenzen?

 

Auch die Grundsatzfrage, wofür wir ein öffentliches Medienhaus brauchen, ist politisch überhaupt nicht geklärt. Das neue Mediengesetz, welches die Grundlage für eine Medienordnung im digitalen Zeitalter schaffen soll, wird wohl erst im Herbst in die Vernehmlassung geschickt. Dann geht es um Stichworte wie «digitale Plattformen», um die Förderung von Medienproduktion statt Mediendistribution und so weiter und so fort...

 

Währenddessen debattieren wir über 451 Franken, 365 Franken, 200 Franken. Oder über «Glanz & Gloria». Eine seriöse Grundsatzdebatte mit einer seriösen politischen Entscheidung am Schluss sähe doch anders aus, oder?

 

Mein Vorsatz: Ich mag die sich ewig wiederholenden Grundsatzdebatten (z.B. Kernenergie ja oder nein, Sozialstaat aus- oder abbauen etc.) gar nicht so sehr. Im Parlament nervt es mich jeweils, über die immer wieder gleichen Positionen zu berichten. Aber Grundsatzdebatten sind wichtig. Denn sie sind ehrlicher als Debatten über Symptome. Ich werde mich ehrlich darum bemühen, ein Fan von Grundsatzdebatten zu werden...

Eine Drohung zum Schluss

Die Parallelen zwischen Armee-Debatte und Medien-Debatte gehen noch weiter. Ich habe in den letzten Wochen und Monaten auch gelernt, dass radikale politische Forderungen zum langfristigen Plan einer politischen Kampagne gehören. Der bewusste Tabu-Bruch, die wenig aussichtslose Radikalposition zur Abstimmung bringen - das gehört offenbar zum Repertoire professioneller Kampagnenführer.

 

Das erklärt dann wohl auch, dass linke Kreise bei der Schweizer Armee nicht über einen neuen Auftrag oder eine andere Ausrichtung abstimmen liessen mit ihrer Initiative, sondern gleich über deren Abschaffung. Und das erklärt dann wohl auch, dass die Initianten von NoBillag nicht über eine neue Definition des medialen «service public» diskutieren wollen, sondern über dessen Abschaffung.

 

Inhaltliche Debatten sind komplex. Man muss etwas verstehen von der Sache, man muss anständig bleiben und einander zuhören. Das funktioniert irgendwie nicht im lauten Geschrei von Politik, klassischen Medien, sozialen Medien. Dann lieber alles oder nichts, um wenigstens gehört zu werden?

 

Mein Vorsatz: Ich kann als Stimmbürger nur «Ja» oder «Nein» auf meinen Abstimmungszettel schreiben. Das ist sehr oft sehr schade. Ich würde oft gerne «ja, aber...» oder «nein, wenn...» stimmen. Wenn ich also tatsächlich meinen Job als Journalist verlieren sollte, dann wechsle ich deshalb in die (konstruktive) Politik.

 

Das war jetzt vielleicht doch eine Abstimmungsempfehlung...

Update: Ich bedanke mich schon jetzt für die Zuschriften, die mich per Email erreicht haben zu diesem Artikel. Selten so schnell so viele Reaktionen erhalten. Merci!


Disclaimer

  • Ich bin Redaktionsleiter der SRF-Regionalredaktion Aargau Solothurn (siehe Biografie)
  • Dieser Artikel ist meine ganz persönliche Ansicht. Er wurde aus persönlichem Antrieb und ohne Absprache mit Unternehmen oder Verein SRG verfasst und publiziert. 
  • Als Mitarbeiter der SRG bin ich selbstverständlich direkt vom Thema betroffen. Der Text ist deshalb kein journalistischer Text mit den üblicherweise von SRG-Journalisten angewandten Kriterien, sondern eine persönliche Meinungsäusserung.
  • Selbstverständlich wurde dieser Text (und auch alle anderen Texte in diesem Blog) nicht während der Arbeitszeit, sondern in der Freizeit bzw. in den Ferien geschrieben. Diese Gedanken kosten die Gebührenzahlenden also nichts.
  • Ich habe in diesem Artikel bewusst auf Links verzichtet, weil ich gewisse Debatten in sozialen Medien nicht durch eine Verlinkung neu entfachen möchte... inhaltliche Fragen beantworte ich gerne oder kann Quellenangaben persönlich nachliefern.

Diskussion erwünscht!

Ich stelle mich gerne der Diskussion. Hier über das Kommentarfeld, in sozialen Medien oder auch persönlich bei Kaffee oder Bier. Ich bitte allerdings um Verständnis dafür, dass ich jeweils nicht sofort auf jeden Kommentar antworten kann, da ich zu 100 Prozent berufstätig bin und diesen Blog wie oben erwähnt natürlich nur privat betreibe.


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Kommentare: 1
  • #1

    A. Ruider (Montag, 15 Januar 2018 23:03)

    Ich freue mich, zu lesen, dass man den ruhigeren, konstruktiven Politikern endlich eine Plattform geben will. Ich hoffe, es bleibt nicht nur beim guten Vorsatz! ;-)