«Hochzeit» von AZ und NZZ: Es braucht noch mehr für den Regionaljournalismus

Die Medienkonzentration schreitet voran. Nun haben auch die AZ Medien und die NZZ ein Joint-Venture angekündigt. Die regionalen Titel der beiden Konzerne sollen einen gemeinsamen Mantelteil erhalten.

 

AZ-Chefredaktor Patrik Müller verspricht sich davon nicht weniger als die Rettung des Lokal- und Regionaljournalismus. Ich widerspreche ihm nicht. Es braucht aber eine wichtige Ergänzung. Und ja, die hat mit meinem Job zu tun...

Medienkonzentration heisst auch: Öffentliche Medien werden wichtiger.
(c) Fotolia/doris_bredow

 

Patrik Müller kommentiert an diesem Wochenende die grosse Medien-Story der Woche, welche sein eigenes Unternehmen betrifft. Dieser Kommentar (und die Kommentare zu seinem Text) haben mich zu den folgenden Gedanken geführt.

 

 

Es ist unbestritten, dass die aktuellen Veränderungen im Medienmarkt jede publizistisch tätige Firma zu Veränderungen zwingen. Einbrechende Werbeerlöse, sinkende Abo-Zahlen, Kosten für die Digitalisierung von Redaktion und Produktion. Wer überleben will, muss sparen.

 

Das gilt für alle Medienunternehmen, inklusive gebührenfinanzierte. AZ-Chefredaktor Patrik Müller hat aus meiner Sicht deshalb wohl absolut Recht, wenn er schreibt, dass die Bündelung nationaler und internationaler Redaktionen wenigstens die weitere Finanzierung von Regionaljournalismus möglich macht.

 

Text von Patrik Müller
Printscreen «aargauerzeitung.ch», Ausschnitt aus dem Kommentar von Patrik Müller

 

Ich bin selber Regionaljournalist (vgl. Disclaimer am Ende des Textes). Und natürlich finde ich es deshalb ebenfalls wichtig und erfreulich, wenn sich Verlage die finanziellen Mittel erkämpfen, um die Regionalbünde ihrer Zeitungen zu erhalten.

 

Allerdings reicht das meiner Meinung nach nicht aus. Daneben braucht es weiterhin und immer mehr ein öffentliches Medienangebot - gerade auch im regionalen Bereich. Eine Begründung unter drei Aspekten:

 

Medienvielfalt

National beherrschen einige wenige Medienunternehmen den publizistischen Markt in der Deutschschweiz: Ringier (Blick etc.), Tamedia (Tagesanzeiger, Berner Zeitung etc.), NZZ (Neue Zürcher Zeitung etc.), AZ Medien, Südostschweiz und natürlich die SRG. Bei den privaten Verlagen schreitet die Konzentration munter voran: Tamedia hat ihre Mantelteile kürzlich zusammengelegt, AZ und NZZ(-Regionaltitel) folgen jetzt, die Südostschweiz will offenbar den Mantelteil der BaZ übernehmen... wer weiss, was da noch kommt.

 

Kurz: Nationale und internationale News werden in der Schweiz bald noch von maximal vier bis fünf Redaktionen (tagesaktuell) verarbeitet. Das ist wenig im Gegensatz zu früher - die Existenzberechtigung der SRG steht für mich schon deshalb natürlich ausser Frage. Als direkte Demokratie sollte sich die Schweiz - so meine ich - auf nationaler Ebene ein paar verschiedene Redaktionen leisten können, die unabhängig voneinander und sich ergänzend zum Beispiel vor Abstimmungen und Wahlen berichten.

 

Im Regionalen ist die Konzentration sogar noch stärker. Natürlich ist es aus meiner Sicht sehr begrüssenswert, wenn die Aargauer Zeitung weiterhin regionalen Journalismus machen kann. Ich wünsche mir, dass diese regionale Berichterstattung mindestens so hochwertig und umfassend wie heute bleibt.

 

Aber wer bildet eigentlich die «Gegenstimme» zur AZ im Kanton Aargau? Einige Lokalblätter gibt es noch - kantonale Politik wird in diesen Titeln aber selten behandelt. Bezüglich kantonaler Politik gilt also: Es ist nicht nur eine «sinkende Medienvielfalt» zu beklagen wie auch auf nationaler Ebene, sondern es herrscht bereits eine klare «Medieneinfalt».  Das ist nicht nur im Aargau so.

 

In diesem Kontext ist das (minimale) Engagement der SRG mit ihren SRF-Regionalredaktionen zwingend notwendig, um wenigstens ein bisschen «Abwechslung» oder «Farbe» in die regionalen Medienlandschaften der Deutschschweiz zu bringen. Dazu braucht es offensichtlich eine öffentliche Finanzierung, weil sich das kommerziell nicht machen lässt, wie Patrik Müller es ja selber sehr einsichtig erklärt hat.

 


Mikrofon mit SRF-Logo und Kopfhörer
(c) Maurice Velati

In den Kantonen Aargau und Solothurn engagiert sich die SRG mit rund 14 Vollzeitstellen (Radio-Journalist/innen, TV-Korrespondent/innen, Technik, Backoffice) für regionale Berichterstattung. Die SRF-Regionalredaktion produziert mit diesem Personal die Sendung «Regionaljournal» auf Radio SRF1 (5x täglich, insgesamt rund 50 Minuten Programm täglich), realisiert Radio-Beiträge für nationale Sendegefässe (Echo der Zeit, Rendez-Vous, Info3, Regional-Diagonal), Beiträge für die TV-Infosendungen (Schweiz aktuell, Tagesschau, 10vor10) und einen regionalen Webauftritt unter www.srf.ch/aargausolothurn



Medienmacht

Natürlich sind die Schweizer Tageszeitungen heute «Forumszeitungen» und lassen in ihren Artikeln mehrere Meinungen und Perspektiven zu. Die Zeit der Parteipresse ist vorbei. Trotzdem sind die meisten publizistischen Angebote politisch klar «ausgerichtet». Das gilt auch für die regionalen Titel von AZ und NZZ, wie die beiden Unternehmen in ihrer Medienmitteilung selber klar formulieren.

 

Medienmitteilung AZ Medien
Printscreen «azmedien.ch», Medienmitteilung vom 7.12.2017

 

Die politische Handschrift der Verlegerfamilie und der Redaktion sind auch im regionalen Teil immer wieder spürbar: Nicht nur in Kommentaren, sondern zum Beispiel auch bei der Themenwahl. Das ist normal, das ist kein Problem - solange es auch alternative Angebote gibt, welche eine andere Perspektive zum Thema vermitteln können. Sei es nur, dass man noch andere spannende Fragen stellt. Oder sei es, dass man gewisse Themen anders gewichtet.

 

Auch in diesem Kontext ist das (minimale) Engagement der SRG mit ihren SRF-Regionalredaktionen zwingend notwendig, um eine minimale Vielfalt der Perspektiven bei regionalen Themen zu gewährleisten. Die SRG-Mitarbeitenden müssen sich an ziemlich strikte publizistische Vorgaben halten, was die Art und Weise der Berichterstattung schon deshalb von privaten Anbietern unterscheidbar macht.

 

Sie können es im Aargau beobachten: SRF setzt zum Teil andere Schwerpunkte oder lässt Themen aus, welche bei der AZ «gross gefahren» werden. Das ist gut so, denn auf diese Weise werden insgesamt mehr regionale Themen medial aufbereitet, die Konsument/innen können sich breiter über ihren Kanton informieren.

 

Und ganz nebenbei ist so auch gewährleistet, dass eine Redaktion über Veränderungen bei den AZ Medien berichtet. Genau so, wie umgekehrt die AZ Medien auch den SRF-Redaktionen und dem Unternehmen SRG auf die Finger schauen...

 

Medienwandel

Die veränderten Konsumgewohnheiten insbesondere der jüngeren Generationen machen allen Medienunternehmen zu schaffen. Es braucht neue, digitale Angebote, um ein gewisses Publikum überhaupt noch erreichen zu können mit den produzierten journalistischen Inhalten.

 

Bei den traditionellen Medien funktioniert die «Arbeitsteilung» zwischen privaten regionalen Anbietern und dem öffentlichen Medienhaus (noch) gut: Die Menschen hören am Radio regionale Nachrichten (vom öffentlichen Medienhaus produziert), lesen dazu noch die regionale Tageszeitung (vom privaten Verlag produziert).

 

Doch die inhaltliche Vielfalt sollte meiner Meinung nach auch diejenigen erreichen, die sich nicht mehr mit Papier oder über UKW mit Nachrichten versorgen. Es braucht deshalb im regionalen Kontext auch online eine gewisse Konkurrenz. Regionale Politik kann - in sehr grossem Umfang - bei den AZ Medien online konsumiert und mit dem kleineren öffentlichen Angebot von SRF online ergänzt werden.

 

Auch in diesem Kontext ist das (minimale) Engagement der SRG mit ihren SRF-Regionalredaktionen zwingend notwendig, um eine minimale Vielfalt von Themen und Perspektiven auch auf digitalen Vektoren zu gewährleisten. Und nein, bisher gibt es keine digitalen Alternativen zu den «grossen» Medienhäusern - mir ist kein einziger Blog bekannt, der politische Recherchen im Kanton betreibt und der sich zum Beispiel irgendwie über ein Crowdfunding finanziert...

 

Auch wenn im Internet «jedermann publizieren kann» - die professionelle Arbeit von AZ- und SRF-Journalist/innen in der Region ist meiner Ansicht nach nicht durch Hobby-Blogger zu ersetzen.

 

Fazit

Die laufende Medienkonzentration ist aus meiner Sicht als Journalist inhaltlich natürlich nicht zu begrüssen. Ich kann sie aber aus betriebswirtschaftlichen Gründen sehr wohl nachvollziehen - ähnliche Prozesse laufen auch in meinem Unternehmen.

 

Wer aber nicht nur den regionalen Journalismus überhaupt irgendwie retten will, sondern sogar noch eine minimale Vielfalt an Themen und Perspektiven in den Regionen erhalten möchte, der muss - mehr denn je - ein Interesse an einem öffentlichen Medienangebot auch in diesem Bereich haben.

 

Und ich glaube nicht, dass ein zweites regionales Angebot rein kommerziell finanzierbar ist, wenn man schon das andere nur mit grossen Anstrengungen und einer Fusion der Mantelteile noch in die Zukunft retten kann.

 


Disclaimer

  • Ich bin Redaktionsleiter der SRF-Regionalredaktion Aargau Solothurn (siehe Biografie)
  • Dieser Artikel ist meine ganz persönliche Ansicht. Er wurde aus persönlichem Antrieb und ohne Absprache mit Unternehmen oder Verein SRG verfasst und publiziert. 
  • Als Mitarbeiter der SRG bin ich selbstverständlich direkt vom Thema betroffen. Der Text ist deshalb kein journalistischer Text mit den üblicherweise von SRG-Journalisten angewandten Kriterien, sondern eine persönliche Meinungsäusserung.
  • Selbstverständlich wurde dieser Text (und auch alle anderen Texte in diesem Blog) nicht während der Arbeitszeit, sondern in der Freizeit bzw. in den Ferien geschrieben. Diese Gedanken kosten die Gebührenzahlenden also nichts.

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