Ein Hoch auf die Lokalpolitik

Lösungen suchen in der Politik: Zwei Hände reichen sich zwei passende Puzzle-Teile
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Dass ich den Lokal- und Regionaljournalismus für den besten aller Berufe halte, habe ich an dieser Stelle schon beschrieben. Inzwischen habe ich bemerkt, dass mir auch die Lokalpolitik ganz besonders ans Herz gewachsen ist. Im Gegensatz zur Politik auf kantonaler und nationaler Ebene, die mich je länger je öfter langweilt. Ein ganz persönliches Statement zum Thema politische Kultur.

 

Politik soll gemäss Definition die «Angelegenheiten eines Gemeinwesens regeln». Es geht also darum, dass man anstehende Probleme oder Herausforderungen im Sinne und zum Wohle der Allgemeinheit löst. Welche Lösungen sinnvoll oder sinnlos erscheinen, das liegt selbstverständlich sehr oft im Auge des Betrachters. Und darüber darf, soll und muss gestritten werden. Man möchte ja eine Lösung, die für möglichst viele passt und von möglichst vielen getragen wird. Im Sinne des Gemeinwesens eben.

 

Eine Lösung, weil es die Lösung ist

Das alles klingt so einfach und selbstverständlich. Aber was bedeutet es konkret? Es bedeutet für viele Vollblut- aber Teilzeitpolitiker in diesem Land ein hartes Stück Arbeit, persönliches Engagement und eine grosse Bereitschaft zur Überwindung eigener Denkmuster.

 

Es bedeutet zum Beispiel, dass ein SVP-Gemeindepräsident vor sein Volk tritt und eine Steuererhöhung von sagenhaften 12 Prozentpunkten fordert. Weil er zur Überzeugung gelangt ist, dass es keinen anderen Ausweg gibt aus der finanziellen Krise seiner Gemeinde. Er steht hin, überzeugt seine Ortspartei und am Schluss - beinahe - auch sein Volk. Immerhin 9 Prozent höhere Steuern bringt er durch.

 

Es bedeutet zum Beispiel, dass ein SVP-Gemeinderat seinen Jugendpolizisten (politisch) unterstützt bei Alkohol-Testkäufen in Beizen und Läden. Im Wissen, dass staatliche Kontrolle bei seinen Parteifreunden alles andere als gern gesehen wird. Aber er sei überzeugt vom Nutzen dieser Testkäufe, sagt er mir. Da stelle er sich der Kritik im eigenen Umfeld gerne.

 

Es ist purer Zufall, dass an dieser Stelle zwei Beispiele von Vertretern der Volkspartei angeführt sind. Es sind die jüngsten Beispiele aus meinem Berufsalltag, die herhalten müssen. Ganz ähnlich pragmatische und parteilinienferne Haltungen habe ich auch bei linken Kommunalpolitikern schon erfahren - zum Beispiel, wenn es um Fragen der Ausländer-Integration oder der Steuerung von Bautätigkeit geht.

 

Keine Lösung, weil es die falsche Meinung ist

Nun, vom Parteiprogramm abweichende Meinungen sind ja nicht den Kommunalpolitikern vorbehalten. Exekutivämter machen aus lautstarken Parteisoldaten schnell mal konsensfähige Kollegialbehördenvertreter. Aber Regierungs- und Bundesräte können sich hinter dem Kollegium «verstecken». Man weiss ja, dass der halt jetzt die Meinung der Gesamtregierung vertreten muss...

 

Das funktioniert im Dorf oder der Kleinstadt weniger: Da steht man hin mit seinem Namen, seinem Gesicht und vielleicht sogar noch seinem Ruf als Geschäftsmann, Vereinsmitglied und Nachbar. Und deshalb staune ich immer wieder, wie viel Eigenständigkeit sich gewisse Politiker auf Gemeindeebene erhalten können.

 

Was schon im Kantonsparlament viel weniger der Fall zu sein scheint, wenn ich den Erzählungen aus dem Ratsbetrieb Glauben schenken darf (und davon gehe ich aus). Hier gilt in vielen Fällen Partei- und Stimmdisziplin. Hier werden Mitglieder von Fachkommissionen in der Fraktionssitzung auch mal überstimmt - und wechseln dann in der Plenarabstimmung im Saal sogar noch ihre eigene Meinung. Weil die Partei es so will? Wahrscheinlich.

 

Sicher und aus eigener Erfahrung weiss ich, wie fernab jeglicher Lösungssuche oft die parlamentarischen Debatten verlaufen. Ideologische Grabenkämpfe dominieren den Diskurs, die allgemeine parteipolitische Weltsicht verdeckt die Sicht auf das eigentlich zu lösende regionale Problem. Man deckt sich ein mit grundsätzlichen Allgemeinplätzen und teilt gegenseitig Vorwürfe aus, man wiederholt grundlegende und allseits bekannte politische Positionen und stimmt am Schluss genau so ab, wie es alle im Saal Anwesenden schon vor der stundenlangen Debatte haben sehen kommen. Die Debatte hätte man sich oft auch einfach sparen können.

 

Im schlimmsten Fall führt dieses sture Festhalten an den eigenen ideologischen Grundsätzen auf beiden Seiten der politischen Lager schlicht zum politischen Stillstand. Oder zur jahrelangen Verschleppung von einzelnen Geschäften. Ob das dann im Sinne des Allgemeinwesens ist?

 

Persönlichkeiten statt Parteisoldaten?

Ja, dieser letzte Abschnitt war genau so verallgemeinernd und unpräzis wie die in den parlamentarischen Debatten formulierten ideologischen Ansichten. Selbstverständlich gibt es auch im Kantonsparlament sehr fundierte, sachliche und lösungsorientierte Diskussionen - manchmal auch ausserhalb des Ratssaals. Aber in der Tendenz wünschte ich mir oft - um es plakativ zu formulieren - mehr Persönlichkeiten statt Parteisoldaten. Etwas mehr Mut von Politikern hüben und drüben, die eigenen Denkmuster und Positionen zu hinterfragen.

 

Vielleicht in etwa so, wie ich es als Journalist ständig tun muss: Wenn ich die Argumentation aller Seiten verstehen will, dann muss ich mich auf diese Argumentation einlassen - meine eigenen Denkmuster immer wieder hinterfragen. Von uns Journalisten wird Objektivität und Offenheit verlangt. Aber müssen wir das nicht auch von Politikern verlangen? Etwas Offenheit ist doch die Bedingung dafür, dass man überhaupt die besten Lösungen finden kann. Die besten Lösungen, um «Angelegenheiten unseres Gemeinwesens» zu regeln.

 

Vielleicht sollten die einen oder anderen Parlamentarier aus Kanton und Bund mal wieder an ihre Zeit in der Gemeinde zurück denken. Oder einen Kommunalpolitiker besuchen. Einer, der ganz einfach die Probleme löst.

 

PS1: Auch das gehört zur Offenheit des objektiven Journalisten - er widerlegt seine eigene These: In der Politikwissenschaft ist mein Wunsch nach Persönlichkeiten nämlich umstritten. Linientreue Politiker sind offenbar im Sinne der Wählerschaft. Aber ich äussere hier ja auch nur meine bescheidene, eigene Meinung...

 

PS2: Ich schreibe nur in der männlichen Form, meine die weibliche aber selbstverständlich immer mit. Das hat mit Schreibfaulheit zu tun, ich bitte um Entschuldigung.

 


Ich bin Redaktionsleiter bei SRF. In diesem Artikel steht meine persönliche Meinung. Und ich freue mich über Reaktionen oder Gegenrede. Denn ich fühle mich nicht nur der Transparenz, sondern auch dem Dialog verpflichtet.


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Kommentare: 8
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