«Pikett-Haltung»: Warum «Batterie-Journalisten» keine Lösung sind

Wecker: Journalismus auf Pikett
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Wir kaufen Eier aus Bodenhaltung und wünschen uns Freilaufställe für die Rinder: Dem Tierschutz sei Dank. Die Haltung vieler Journalisten wäre allerdings auch eine Kampagne wert. Hier herrscht nämlich Pikett-Haltung vor. Die schadet dem Lebewesen und seinem Bauern. Ein Statement mit gewerkschaftlichem Unterton, aber vor allem mit unternehmerischer Weitsicht.

 

Journalisten lieben ihren Beruf. Journalismus ist Berufung, Leidenschaft. So tönt's immer wieder, wenn man mit Journalisten spricht. Und mit Menschen oder Unternehmen, die Journalisten beschäftigen. Diese Hingabe zum Beruf macht es denn auch einfach(er), Journalisten etwas überdurchschnittlich in die Firma und ihre Aufgaben einzuspannen. Medienhäuser neigen deshalb zu «Pikett-Haltung». Und Journalisten neigen dazu, diese Haltung sogar freiwillig anzunehmen.

 

Wenn Unfälle geschehen, Unwetter das Land heimsuchen, Verbrechen grosse Polizei-Einsätze auslösen, dann sind sie sofort zur Stelle: Die Journalisten. Auch mitten in der Nacht oder am Wochenende.

 

Im besten Fall ist der anrückende Journalist eine Art «Pikett-Offizier» seines Publikationsorgans: Er erhält eine Entschädigung dafür, dass er zu Unzeiten ausrücken muss. Im schlechteren Fall war er zufällig noch im Büro, als der Alarm kam. Schnell ein Telefon nach Hause - «sorry, es ist noch was dazwischen gekommen, ich kann erst später Feierabend machen» - und dann ab in den Einsatz.

 

Im noch dümmeren Fall wohnt der arme Journalist einfach zufälligerweise in der Nähe... und wurde von Kollegen oder wem auch immer aufgefordert, «schnell vorbei zu schauen, ob's was Grösseres ist». Der Journalist hat deshalb die laufende Familienfeier verlassen und verbringt die nächsten Stunden frierend neben einem Mediensprecher der Polizei irgendwo auf der Strasse.

 

Bereitschaft zum Bereitschaftsdienst

Einige Medienhäuser bezahlen ihre Journalisten für diese Dauerpräsenz durchaus fair - es gibt Pikettzulagen, Zuschläge für Nachtarbeit und so weiter. Durchaus verbreitet ist aber auch die Lösung, dass solche ausserordentlichen Einsätze «einfach dazu gehören». Quasi zum Ehrenkodex der Journalisten. Weil Journalisten ja eben aus Leidenschaft ihren Beruf gewählt haben.

 

Gegen eine zeitweise Pikett-Haltung ist gar nichts einzuwenden. Und dass Journalisten bei ganz grossen Ereignissen sogar freiwillig, aus purem persönlichem Interesse, ausrücken, das versteht sich ganz von selbst. Trotzdem ist - wie in anderen Berufen auch - eine Tendenz zur erhöhten Verfügbarkeit feststellbar. Eine dauernde Pikett-Haltung ist aber ungesund. Für den Journalisten, sein Umfeld und im Endeffekt sogar für seine Firma.

 

Albtraum auf Abruf

Erstens: Pikettdienst ist natürlich «nur» Pikettdienst. Wenn's keinen Einsatz gibt, dann muss man gar nicht in den Einsatz. Und doch ist die Bereitschaft auf Abruf eben keine echte Freizeit. Das Handy muss griffbereit liegen, das Tagesprogramm so gestaltet sein, dass ein Notfall-Einsatz jederzeit möglich bleibt.

 

Zweitens: Richtige Auszeiten braucht jeder Mensch - auch der leidenschaftlichste Journalist. Ich bin kein Experte für Fragen der «work-life-balance», aber ich weiss aus eigener Erfahrung, dass ständige Konzentration und berufliche Aktivität mit der Zeit ganz schön auslaugen können.

 

Drittens: Auch Journalisten haben ein Umfeld... Familie, Freunde, Verwandte, Vereinskollegen und so weiter. Dieses Umfeld hat erstens ein Anrecht auf ein bisschen Zeit (ohne Pikett-Nervosität und Handy in Lauerstellung) und zweitens hat der Journalist ein Anrecht auf sein Umfeld. Dieses kann er aber nur behalten, wenn er auch Zeit dafür hat.

 

Viertens: Ein Medienhaus, das seinen Journalisten zu wenig (echte) Freizeit gönnt, bestraft sich langfristig selber. Weil gute Journalisten zwingend einen engen Draht zum Alltagsleben brauchen.

 

Auszeiten bringen Einsichten

Journalisten sollten «den Puls fühlen» in der Bevölkerung: Sie sollten ihre Kundschaft kennen. Wer als Journalist nur noch mit Journalisten zu tun hat, der leidet bald an «Tunnelblick». Interessant ist, was die Journalisen interessiert. Richtig ist, was Journalisten richtig finden. Klar ist, was für Journalisten klar ist. Wer im Elfenbeinturm seiner Redaktion hängen bleibt, verliert den Bezug zur Bürgerrealität.

 

Journalisten sollten am Stammtisch sitzen, im Turnverein mitmachen, sich mit Freunden zum Abendessen treffen, mit ihren Partnerinnen diskutieren. Partnerinnen, die hoffentlich keine Journalistinnen sind. Dieser Kontakt zur Alltagsrealität verhindert zum Beispiel falsche Wahl- und Abstimmungsprognosen, wie sie vorzugsweise bei rechtskonservativen Volksinitiativen (Minarett, Masseneinwanderung) häufig passiert sind. Dieser Kontakt zur Alltagsrealität ist aber auch ein grosser Themen-Fundus: Es ist doch kein Zufall, dass vor allem Journalisten mit eigenen Kindern Bildungsthemen aufgreifen  Durch ihre eigenen alltäglichen Erfahrungen sind sie überhaupt nur in der Lage, allfällige Probleme an Schulen zu orten. Die Liste mit möglichen Themen liesse sich beliebig erweitern: Journalisten mit einem Leben neben dem Job sind bessere Journalisten.

 

Diese Erkenntnis hat nichts mit gewerkschaftlicher Agitation zu tun. Im Gegenteil: Sie sollte vor allem den Arbeitgebern zu denken geben, die sich für publizistisch relevante und interessante Produkte interessieren. Wer seine Journalisten auch «leben lässt», der generiert am Schluss mehr Inhalte. Anständige Arbeitsbedingungen, die auch ein Mindestmass an Freizeit und Ausgleich zum beruflichen Alltag zulassen, haben eine positive Wirkung auf die Arbeit von Journalisten.

 

Und natürlich sind ausgeglichene und ausgeruhte Journalisten auch leistungsfähiger. Das gilt aber wohl in gleichem Masse auch für Fabrikarbeiter und kaufmännische Angestellte.

 

Ehrgeiz und Geiz

Das wirtschaftliche Umfeld ist für die Medienbranche «herausfordernd», um es im gängigen Wirtschaftsbossen-Slang zu formulieren. Wenn Werbeeinnahmen und Auflagen sinken, dann nimmt der finanzielle Druck auf die Medienhäuser und ihre Angestellten unweigerlich zu. Dieser Druck führt aktuell bereits zu sichtbaren Qualitätseinbussen bei verschiedenen Informationsprodukten: Die Sorgfalt hat keinen Platz mehr, wenn man mehr Artikel schreiben muss in kürzerer Zeit. Das Know-How der Mitarbeiter sinkt, wenn man nur noch günstige Praktikanten einstellt. Und: Die «Pikett-Haltung» droht zum beruflichen Alltag zu werden.

 

Journalistischer Ehrgeiz bei den Angestellten und ausgeprägter Geiz bei den Arbeitgebern sind langfristig eine ungesunde Mischung. Auf die Dauer leidet darunter das höchste Gut, das Medienprodukte und Journalisten auszeichnet: Die Glaubwürdigkeit. Wer falsche Prognosen stellt, wer brennende Themen nicht bemerkt, wer an seiner Kundschaft vorbei schreibt, der ist für seine Leser- oder Hörerschaft auf Dauer nicht mehr glaubwürdig.

 

Wir alle sollten deshalb alles daran setzen, dass Journalisten nicht zu Batterie-Hühnern werden im hektischen Informationsbauernhof.

 

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