Zoff mit meinem Zynismus

Ein Blaulicht vor dunklem Wolken-Himmel: Drama, Unfall, Blog von Maurice Velati
Petra Bork / pixelio.de

Wir Journalisten berichten täglich über menschliche Dramen: Unfälle, Verbrechen, Krieg. Klar, dass man als Journalist abhärtet. Klar auch, dass man eine professionelle Distanz zu diesen Schicksalen braucht. Würden mich alle diese Schicksale persönlich betreffen und betroffen machen, dann hätte ich meinen Job schon lange an den Nagel gehängt. Doch manchmal nervt auch der alltägliche Zynismus einer News-Redaktion.

Die Welt ist schrecklich. Diesen Eindruck erhält man, wenn man einen Tag lang die Meldungen auf dem Agenturen-Ticker einer Nachrichten-Redaktion liest. Sogar auf meiner Regionalredaktion - ganz ohne Grossstadt im Sendegebiet - treffen täglich Meldungen ein von tragischen Schicksalsschlägen... tödliche Unfälle, schwere Verbrechen, Massenentlassungen. Hinter diesen Nachrichten und Meldungen stehen Menschen, deren Leben durch diese Ereignisse ausgelöscht oder völlig auf den Kopf gestellt werden. Hinter diesen zumeist kurzen Meldungen verstecken sich also menschliche Tragödien.

 

Wie müssen oder sollen Journalisten auf diese Tragödien reagieren?

Wir können versuchen, diese Tragödien hinter dem Auto-Unfall tatsächlich abzubilden. Doch es wird wohl beim Versuch bleiben: Meistens gibt das dann nämlich diese TV-Beiträge mit weinenden Müttern, die dem Zuschauer das Herz zerreissen sollten, ihn stattdessen aber in einen Wutanfall manövrieren. Denn die meisten dieser Beiträge sind völlig geschmacklos: Journalisten sind das letzte, was weinende Mütter in ihrer Trauer noch brauchen. Und der Erkenntnisgewinn für den Zuschauer ist praktisch gleich null. Denn wir alle wissen, dass wir unendlich traurig wären, wenn wir unser Kind verlieren würden. Voyeurismus ist also keine adäquate Lösung für den journalistischen Umgang mit alltäglichen Tragödien.

 

Die zweite Lösung ist wohl die bessere: Wir Journalisten und damit auch die Medienprodukte distanzieren sich von den menschlichen Tragödien und konzentrieren sich auf den abstrahierten Nachrichtengehalt: Unfall da und da, so viele Fahrzeuge, so viele Opfer, Ursache unbekannt. Mehr Informationen braucht das Publikum in der Regel nicht, der Nutzwert der Information (ich weiss, weshalb die Sirenen geheult haben, warum die Strasse gesperrt war, warum mein Neffe mit der Feurwehr ausrücken musste etc.) ist mit der Darstellung dieser objektiven Fakten gross genug.

Natürlich wird man mit dieser Fakten-Darstellung der menschlichen Tragödie nicht gerecht: Aber es wäre wohl auch eine emotionale Überforderung für das Publikum, wenn wir Journalisten unserer Kundschaft die Tragödie hinter jeder einzelnen Nachricht bewusst machen würden.

 

Anzahl Todesopfer / Distanz = Meldung oder nicht

Die Abstraktion von menschlichen Tragödien gehört also zum journalistischen Alltag. Dazu gehört auch, dass Journalisten aus Platzgründen solche abstrahierten menschlichen Tragödien zusätzlich auch noch aussortieren müssen. Wenn wir jeden tödlichen Unfall melden würden, der auf den Strassen dieser Welt passiert, dann wären unsere Zeitungen so dick wie Bücher und unsere Radiosender hätten keinen Platz mehr um Musik zu spielen (was mich übrigens oftmals gar nicht stören würde...).

 

Also müssen Journalisten auch noch nach möglichst abstrakten bzw. objektiven Kriterien diese Tragödien bewerten: Was will und muss mein Publikum hören? Eine beliebte, annähernd sinnvolle und dabei absolut zynische Formel lautet: Anzahl Todesopfer dividiert durch Distanz in Kilometern.

Ein Autounfall mit zwei Toten in meinem Kanton gehört in ein regionales Nachrichtenbulletin. Im nationalen Bulletin müssten es wohl schon etwas mehr Tote sein, vielleicht drei oder vier. Passiert dieser Unfall mit vier Toten allerdings in Italien, dann ist er auch für das nationale Nachrichtenbulletin wieder zu unwichtig. Darüber sprechen sie in Italien, bei uns aber nicht. Für Unfallmeldungen aus dem Ausland braucht es schon einen ganzen Car als Unfallfahrzeug, mit Vorteil von Schweizer Touristen besetzt. Dann ist das wieder eine Meldung wert.

Und wenn ferne Länder wie Bangladesch in unsere Nachrichten kommen, dann müssen dort schon einige Hundert Menschen ums Leben kommen, und zwar mit Vorteil auf einen Schlag.

 

Ja, das alles klingt zynisch. Und ja, das ist es auch. Denn das News-Geschäft ist über weite Strecken ein zynisches Geschäft. Wir Journalisten leben ein Stück weit von diesen Tragödien: Sie liefern den Stoff für unsere Zeitungen und Sendungen. Und dazu gehört dann auch, dass man diesen Stoff mit der professionellen Distanz bewältigt. Dasselbe würden ihnen wohl Ärzte erzählen: Journalismus ist nicht der einzige leicht perverse Job, der nur mit professioneller Distanz zu bewältigen ist.

 

Zynismus gehört in solchen Berufen schon fast zum guten Ton. Es dürfte also nicht verwundern, wenn man in Redaktionsstuben ab und zu mal Sprüche hört wie... "Wir müssen wohl noch ein Haus anzünden, damit wir was zu berichten haben"... oder "Juhui, es ist ein gröberer Unfall passiert, wir haben noch was für die Sendung!".

 

Journalisten sind auch Menschen... manchmal

 Ja, Journalisten sind Zyniker. Weil sie von Tragödien leben und sich dessen bewusst sind. Und weil sie selber auch emotional überfordert wären, würden sie sich ständig darüber Gedanken machen, welche Tragödien hinter diesen abstrahierten Nachrichten stecken.

 

Es gibt aber Tage und Stunden, da schützt einem auch dieser Zynismus nicht.

Zum Beispiel, wenn ich mal wieder als Journalist selber an einem Unfallort stehe. Das kaputte Fahrrad liegt noch am Strassenrand, das Opfer wird gerade mit dem Rettungshelikopter weggeflogen. Polizisten sprechen darüber, dass man die Angehörigen noch informieren müsse.

Zum Beispiel, wenn der Kriminalpolizist mir in allen Einzelheiten erzählt, wie er nach einem Familiendrama am Tatort über leblose Kinder-Körper gestiegen ist.

Zum Beispiel, wenn ich in einem Gerichtssaal sitze und einen Menschen vor mir sehe, der nicht in der Lage ist, einen brutalen Mord an einer jungen Frau zu bereuen.

 

Es gibt Situationen, da kommt mir die Tragödie zu nahe, als dass ich sie einfach so abstrahieren kann. Und ich bin froh darüber. Denn es zeigt mir, dass ich noch immer Mensch bin und nicht nur Journalist.

 

Nach solchen Situationen nerven mich die zynischen Bemerkungen in der Redaktion. Dann muss ich meinem Ärger kurz Luft machen oder meine Gedanken mit den Kollegen teilen. Auch andere Kollegen brauchen das ab und zu.

Und auch darüber bin ich froh. Denn zwischendurch muss der alltägliche Zynismus kritisch hinterfragt werden. Damit wir Journalisten auch Menschen bleiben.

 

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Kommentare: 1
  • #1

    Urs Hofstetter (Dienstag, 15 Oktober 2013 20:58)

    Keine Widerrede, im Gegenteil! Beruhigend zu wissen, dass es auch anderen Journis so geht.