Steter Tropfen... oder: Weshalb Journalismus Diskurs braucht

Schnappschuss vom JournalismusTag.13 in Winterthur
(c) Vinzenz Wyss (Twitter @VinzenzWyss)

Zum ersten Mal überhaupt habe ich mir die Zeit genommen, um am JournalismusTag des Vereins Qualität im Journalismus teilzunehmen. 200 Journalisten waren da. Die unzähligen Diskussionen und Referate zeigten: Es gibt keine einfachen Lösungen und Rezepte, um den viel beschworenen Qualitätsjournalismus in die Zukunft zu retten. Trotzdem sind diese Diskussionen wichtig.

200 Journalisten, Medienwissenschafter, Mediengewerkschafter und andere treffen sich an einer Journalistenschule und diskutieren über die Zukunft. Während der Veranstaltung werden rund 1000 Tweets abgesetzt, der Hashtag #JourTag13 schafft's in die automatisierten Trend-Empfehlungen des Kurznachrichtendienstes.

Für Aussenstehende sei dabei der «Erkenntniswert aber ziemlich gering», wie @m_hof wohl nicht ganz zu Unrecht festhält. Wie verhält es sich denn mit dem Erkenntniswert für einen Teilnehmer (der zugegeben nicht ganz bis am Schluss in Winterthur weilte)?

 

Keine Revolution, keine Lösung

Die Bilanz fällt auf den ersten Blick ernüchternd aus. Auch nach Stunden in verschiedenen Gruppenräumen und Plenarsälen hält sich mein Erkenntnisgewinn in engen Grenzen.

  • Ich habe von keinem Referenten, auf keinem Panel «die» Lösung gehört für die aktuellen Schwierigkeiten der Branche (Auflagenschwund, Inserateschwund, Finanzierbarkeit, Stellenabbau etc.)
  • Die präsentierten Innovationen (Datenjournalismus, Partizipation) waren für mich als relativ interessierten und im Multimedia-Bereich aktiven Journalisten nicht überwältigend neu
  • Wie gewohnt wurden radikale Positionen präsentiert: Medienwissenschafter Stephan Russ-Mohl geisselte den Bürgerjournalismus («Sie würden ja auch nicht zu einem Bürger-Zahnarzt gehen wollen»), Kommunikator Detlef Guertler erneuerte seine These, dass Journalisten auch als Angestellte von Pampers gute Journalisten seien, klassische Medienverlage seien überholt («die Leute wollen Geschichten, egal von welchem Absender»)
  • Grundsätzliche Feststellungen wie «Selbstreflexion ist wichtig für Journalisten» (u.a. vom Autor selbst so vorgetragen) werden (hoffentlich) bereits an Journalistenschulen vermittelt und stellen ebenfalls keine wirklich neue Erkenntnis dar

Klingt also alles reichlich abgelutscht. Wirklich bahnbrechende Lerneffekte hat die Tagung wohl kaum gebracht, zumindest nicht bei altgedienten Journalisten.

 

Weshalb ich trotzdem zufrieden bin

Trotzdem habe ich eingangs geschrieben, dass ich solche Veranstaltungen wichtig finde. Und dabei bleibe ich. Denn:

  • «Die» einfache Lösung aller Probleme gibt es nicht, deshalb kann sie auch kein Referent präsentieren. Jeder einzelne Referent trägt aber dazu bei, mit seiner Sicht der Dinge meine Sicht der Dinge zu verfeinern, allenfalls meine Sicht der Dinge ein bisschen anzupassen. Kurz: Jedes Referat bringt mich und hoffentlich auch andere - auf die eine oder andere Weise - einen kleinen Schritt weiter
  • Die präsentierten Innovationen waren für mich zwar nicht ganz neu, für andere Journalisten (z.B. aus einer reinen Print- oder TV-Redaktion) aber hoffentlich schon. Dazu kommt: Auch ich habe Einzelheiten erfahren, die mir vorher nicht bekannt oder nicht bewusst waren... einzelne kleine Tipps für meine tägliche Arbeit
  • Radikale Positionen sind per se nicht sehr lösungsorientiert: Aber sie regen zum Denken an. Sowohl Russ-Mohl als auch Guertler haben in ihren Thesen wohl ein Stück Wahrheit drin. Ich komme ins Grübeln über gewisse Aussagen, auch wenn sich mein Bild noch nicht geklärt hat. Es sind weitere Puzzle-Steine in meiner Sicht auf die Dinge
  • Es gibt Feststellungen, die man immer wieder machen kann und machen muss. Auch hier gilt: War zwar bekannt, aber vielleicht nicht mehr so bewusst. Journalismus ist keine exakte Wissenschaft mit «richtig» oder «falsch». Da helfen manchmal klärende Gespräche, um die eigene Position im Alltag wieder zu festigen, zum Beispiel bei Diskussionen am Redaktionstisch

Daneben hat eine solche Tagung einen ganz banalen Nutzen: Man trifft sich mal wieder. Ausserhalb der eigenen Redaktion, ausserhalb des eigenen Unternehmens.

 

Kulturwandel braucht Zeit

Eine solche Tagung verändert die Medienwelt also nicht von einem Tag auf den anderen. Die angeregten Diskussionen unter Berufskollegen können den Qualitätsjournalismus nicht von heute auf morgen retten. Und trotzdem: Dieser Diskurs, zu dem eine solche Tagung gehört, muss aufrecht erhalten werden. Denn: Die Medienbranche muss sich entwickeln, muss sich neuen Herausforderungen stellen. Lösungen dafür findet man nur im regen Austausch, im Diskurs über diverse Möglichkeiten, wie man diesen Herausforderungen begegnen könnte.

 

Journalisten und Medienhäuser müssen einen Kulturwandel vollziehen. Vom sicheren Geschäft mit Druckerzeugnissen in eine ungewisse multimediale Zukunft mit neuen (Geschäfs-)Modellen. Ein solcher Kulturwandel braucht Zeit: Denn Journalisten und Verleger müssen ihre alten Gewohnheiten ablegen und Platz machen für neue Ideen und Konzepte. Das ist langwierige Kopfarbeit.

 

Der ständige Diskurs fördert diesen Kulturwandel. Das habe ich in meinem Unternehmen am eigenen Leib erfahren: Vor drei Jahren habe ich dort die ersten Multimedia-Kurse geleitet für Radio-Redaktoren, die auch zu Online-Redaktoren werden mussten. Vor drei Jahren erklärten wir den künftig bimedialen Journalistinnen und Journalisten über zwei Stunden lang, weshalb der neue Vektor Internet auch von unserem Unternehmen bespielt werden muss. Wir stiessen auf Skepsis und Widerstand.

 

Zwei Tage vor dem JournalismusTag in Winterthur habe ich den aktuellsten Multimedia-Kurs geleitet - mit neuen Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern. Die Erklärung, weshalb SRF auch online aktiv ist, dauerte noch ganze zehn Minuten. Mehr war nicht nötig, denn die Kursteilnehmenden haben die Gründe bereits verstanden. Der Kulturwandel ist zu einem guten Teil passiert. Auch dank ständigem Diskurs.

 

Dieser Diskurs muss aufrecht erhalten bleiben. Und deshalb werde ich wohl auch 2014 am JournalismusTag teilnehmen.

 

 

Kommentar schreiben

Kommentare: 0