Demontage einer Privatperson...

Es beginnt mit einer nüchternen und kurzen Pressemitteilung des Aargauer Gesundheitsdepartements am 30.09.2011. Der Kommandant des Kantonalen Katastrophen-Einsatz-Elementes sei per sofort ersetzt worden, gegen ihn würde wegen Vermögensdelikten ermittelt. Schreibt die Medienstelle des Kantons Aargau und löst damit (wohl unabsichtlich) eine mediale Hetzjagd aus.

Medienmitteilung des Aargauer DGS vom 30.09.2011 (www.ag.ch)
Medienmitteilung des Aargauer DGS vom 30.09.2011 (www.ag.ch)

Die erste Reaktion auf der Redaktion: "Was ist bitte das Kantonale Katastrophen-Dingsda... sollte man diese Abteilung kennen?" Die zweite Frage sodann: "Was heisst wohl Vermögensdelikte? Hat der den Kanton um Millionen betrogen?"

 

Geringe Deliktsumme - unwichtige Abteilung

Einige Telefonate später ist der Journalist nicht viel gescheiter. Die Medienstelle will nichts mehr sagen, es ist ihr irgendwie peinlich, über den Fall zu reden. Und beim Staatsanwalt erfährt man immerhin, dass es sich um eine "eher kleine Deliktsumme" handelt.

 

Es taucht zum ersten Mal die Frage auf, warum der Kanton in seiner Mitteilung wohl den vollen Namen des Beamten - und das (siehe Grafik) gleich 5 Mal! - genannt hat. Wir kommen darauf zurück.

 

Bei Radio DRS gibt es eine Kurznachricht - ohne Namensnennung. Begründung: Dieser Beamte, ja auch seine ganze Abteilung, ist völlig unbekannt. Die Deliktsumme offenbar gering. Das sogenannte "öffentliche Interesse" dürfte deshalb bescheiden sein.

 

Denkste...

Der Beginn der Kampagne im Blick... (6.10.2011, blick.ch)
Der Beginn der Kampagne im Blick... (6.10.2011, blick.ch)

Nur wenige Tage später merkt die DRS-Redaktion, was für eine "Hammer-Geschichte" sie verpasst hat...

 

Benzinkarte missbraucht und Stichsäge ausgeliehen

Die Tageszeitung mit dem roten Logo hat recherchiert. War ja auch nicht schwierig, wenn man den ganzen Namen schon kennt. Jetzt kommt die Tragweite des begangenen Verbrechens ans Tageslicht: Der Mann hatte eine Tankkarte missbraucht und sogar mal eine Stichsäge ausgeliehen!!! Skandalös, stimmt.

 

Und natürlich ist es da auch legitim, dass man den Menschen (übrigens Familienvater, wie meine Recherchen ergeben haben...) jetzt so richtig an den Pranger stellt. Ein Foto platziert, den Mann beschreibt ("markant sein Schnauz und sein Bauch"), mit dem Gemeindeammann seiner Gemeinde (wo er noch Feuerwehr-Kommandant ist bzw. war) spricht und damit die Geschichte zu einem regelrechten Drama aufbläst.

Nachzug mit Vorgeschichte: azonline.ch (6.10.11)
Nachzug mit Vorgeschichte: azonline.ch (6.10.11)

Die Hyänen sind jetzt hungrig. Auch regionale Medien starten ihre Recherchen. Und decken auf: Der Mann hatte schon früher betrogen, 4'500 Franken erschwindelt. Wurde dann erwischt und hat alles zurück bezahlt. Aber eben: Ein Verbrecher, ein notorischer. Mal Bargeld, mal Benzin für seinen Audi (klingt ja auch schon wie ein Verbrechen, wenn man als Kantonsbeamter so ein Auto fährt...).

 

Persönliche Demontage - was das nötig?

Eins vorneweg: Der hier beschuldigte Mann ist offensichtlich ein relativ dümmlicher Lügner und hat ein Problem... sonst würde er nicht immer wieder klauen. Ja.

 

Aber: Seine Delikte bewegen sich in einem äusserst geringen Rahmen... im Normalfall sind solche Delikte nicht einmal Randnotizen wert.

Warum also ist dieser Fall anders? Warum wird hier die ganze Person medial demontiert und öffentlich an den Pranger gestellt?

 

Es gibt keine schlüssige Antwort. Die Person ist (was fürs Medienrecht ja relevant ist) keine wirkliche Person "von öffentlichem Interesse". Der Mann ist in seiner Freizeitfunktion (Feuerwehr-Kommandant) zwar dorfbekannt, in seiner Funktion beim Kanton aber nicht. Die Leute wissen nicht einmal, was für eine Abteilung das ist, die er da führt.

 

Warum der Kanton den vollen Namen des Beamten genannt hat, bleibt schleierhaft. Wahrscheinlich ging man davon aus, dass eifrige Journalisten mit zwei, drei Klicks im Internet den Namen schnell herausgefunden hätten - so schaffte man "Transparenz" und muss sich nicht den Vorwurf gefallen lassen, man habe etwas "vertuschen" wollen. 

 

Ich hätte in diesem Fall ganz klar auf die Namensnennung verzichtet. Die Deliktsumme oder das Delikt sind schlicht zu wenig gravierend, als dass man hier einen Mann öffentlich an den Pranger stellen müsste dafür. Der Schutz seiner Privatsphäre müsste da - meines Erachtens - höher gewichtet werden. Gerade von einer kantonalen Medienstelle.

 

Dass gewisse "Bluthund-Journalisten" aus dieser Story eine ganze Kampagne schnüren konnten, das war leider absehbar. Der Stoff ist verlockend... ein "Dorf-König, der den Kanton betrügt" oder so - das gibt was her.

 

Aber: Auch bei Nicht-Journalisten lösten die Artikel bei Blick und Co. Kopfschütteln aus... ich sass in den letzten Wochen mehrmals mit Menschen zusammen, die über das Schicksal dieses Menschen diskutierten... und ihn nach dieser Medien-Kampagne mehr als Opfer denn als Täter sahen.

 

Eine völlig überflüssige Geschichte
Kurz und gut: Die Geschichte um diesen ungeschickten Hobby-Betrüger aus dem Aargau wurde von den Medien grundlos aufgebauscht (die Geschichte bzw. das Delikt ist irrelevant). Und: Die Persönlichkeitsrechte dieses Mannes wurden massiv verletzt. Er wurde öffentlich völlig demontiert.

 

Was für einen Kinderschänder noch als legitim erachtet werden kann (aber auch nicht zwingend legitim wäre), geht bei diesem Mann definitiv zu weit.

 

Schuld daran sind nicht nur "Bluthunde" unter den Journalisten, sondern auch eine unvorsichtige Medienstelle beim Kanton, die dieser ganzen Kampagne mit der Namensnennung quasi Vorschub leistete.

 

 

PS: Das KKE ist eine Zivilschutzorganisation mit ca. 500 Mann, untersteht der Aargauer Regierung und ist als Support-Organisation für überforderte regionale Zivilschutzorganisationen gedacht, z.B. bei Grossereignissen wie Hochwasser etc.

Auch ich habe recherchiert - und dabei wenigstens etwas gelernt, was mir künftig noch nützlich sein könnte... was von den oben dargestellten Recherchen ja leider nicht wirklich gesagt werden kann...

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